Auf dem Bundesjugendtag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am vergangenen Wochenende in Duisburg sind weitergehende Richtlinien zum Kopfballspiel im Kinder- und Jugendfußball beschlossen worden. Der DFB setzt beim verantwortungsvollen Umgang mit dem Kopfballtraining von Kindern und Jugendlichen auf altersgemäße Regelungen statt auf kategorische Verbote.
Während in England das Kopfballspiel im Training für Kinder unter zwölf Jahren aktuell untersagt ist, setzt der Fußball in Deutschland auf andere Lösungen. “Ein Trainingsverbot ist der falsche Weg, denn im Wettbewerb oder auch beim Kick auf dem Bolzplatz wird dann doch geköpft”, sagt Ronny Zimmermann, Präsident des Badischen Fußballverbandes und im DFB-Präsidium für Grundsatzfragen des Jugendfußballs und der Talentförderung zuständig. “Der junge Fußballer und die junge Fußballerin wenden möglicherweise eine falsche Technik an, die im Worst Case zu deutlich größeren Schädigungen führen kann. Wir meinen, eine sachdienliche Lösung gefunden zu haben.”
Im Mittelpunkt der in Duisburg veröffentlichten Empfehlungen für die rund 23.500 Vereine unter dem Dach des DFB stehen die ab 2024 bindenden neuen Spielformen mit den Schwerpunkten auf Flachpassspiel, eine altersgerechte Vorgehensweise beim Erlernen des Kopfballspiels sowie auf eine Bewusstseinsbildung bei Trainer*innen und Spieler*innen. “Die durchaus verbreitete Einstellung, wenn der Schädel brummt, könne man doch weiterspielen, ist einfach falsch”, sagt DFB-Vizepräsident Zimmermann. “Schluss mit der Bagatellisierung.”
Prof. Dr. Dr. Claus Reinsberger, Lehrstuhlinhaber für Sportmedizin an der Universität Paderborn und Facharzt für Neurologie, der in der Medizinischen Kommission des DFB das Fachthema “Kopfverletzungen beim Fußball” betreut, erklärt: “Wir wollen im Nachwuchsbereich achtsamer mit den Auswirkungen des Kopfballspiels umgehen. Neuere Befunde geben uns hierzu Anlass. Wir setzen dabei gezielt auf nachhaltige Wirkung statt auf kurzfristige Verbote. Dass die Kleinfeld-Spielformen die Zahl der Kopfbälle im Kinder- und Jugendfußball ab der Saison 2024/2025 deutlich reduzieren werden, begrüßen wir aus medizinischer Sicht ausdrücklich. Es geht um ein Zusammenwirken von wissenschaftlicher Evidenz und trainingswissenschaftlichen Überzeugungen. Oder anders gedrückt: Die Trainerinnen und Trainer im Land sitzen mit der Medizin in einem Boot.”
Markus Hirte, der seit 2016 die Talentförderung beim DFB leitet, sagt: “Die neuen Spielformen stärken die Technik unseres Nachwuchses im deutschen Fußball. Ein zusätzlicher, durchaus erwünschter Nebeneffekt ist es, dass Kinder und Jugendliche seltener den Ball köpfen. Im Training kann die Kopfballtechnik kontrolliert und altersgerecht verbessert werden. Köpfen mit Köpfchen, darum geht es uns.”
Zentral für den Schutz des Gehirns beim Kopfball ist es, den Ball mit der Stirn zu treffen und die Hals- und Nackenmuskulatur bewusst anzuspannen. Studien belegen, dass die Stärkung der Hals- und Nackenmuskulatur etwa durch isometrische Übungen zu einer Minderung der Krafteinwirkung auf das Gehirn führt. Kopfball-Einheiten sollten zudem langsam aufbauen und bei ungünstigen äußeren Rahmenbedingungen – zum Beispiel bei nass-kaltem Wetter – vom Trainingsplan gestrichen werden. Beim Kopfballtraining der jüngeren Jahrgänge sollte der Ball mit der Hand angeworfen werden. Bei längeren Distanzen muss die Wiederholungszahl reduziert werden.
“Ausreichende Regeneration zwischen den Kopfballeinheiten ist ebenfalls entscheidend”, betont Claus Reinsberger. Alle Empfehlungen für ein altersgemäßes Kopfballtraining wurden vom Bundesjugendtag bestätigt und werden nun durch den DFB und seine Landesverbände in die Breite kommuniziert.
Am Pilotprojekt der neuen Spielformen nahmen seit 2019 alle 21 Landesverbände teil. Ab der Saison 2024/2025 werden ausschließlich diese Spielformen in der Jugendordnung für den Altersbereich G- bis E-Jugend verankert sein, so dass mit der Europameisterschaft 2024 in Deutschland der verbandsorganisierte Spielbetrieb für diese Altersklassen vollständig entlang der neuen Spielformen stattfinden wird. Dies betrifft nach aktuellen Zahlen mehr als 35.000 Mannschaften, mehr als 10.000 Vereine und rund eine halbe Million Kinder bundesweit. Durch das 2021 eingeführte Kindertrainer*innen-Zertifikat werden auch die zahlreichen Trainer*innen in speziell diesem Altersbereich, die oftmals keine gültige Trainer*innen-Lizenz vorweisen, erreicht und für diese wichtige Thematik sensibilisiert.
Für Verunsicherung sorgte die 2019 veröffentlichte Studie der Universität Glasgow, derzufolge Fußballer rund dreimal häufiger als der Bevölkerungsschnitt an Demenz versterben. Die Forschenden hatten die Todesursachen von rund 7700 schottischen Ex-Fußballprofis ausgewertet und mit der Allgemeinbevölkerung verglichen. Die vielfach vorgenommene offensive Interpretation der Studienresultate ist aus Sicht der DFB-Kommission zumindest zweifelhaft. “Die untersuchten Fußballer haben bereits vor sehr langer Zeit gespielt, sie lebten länger als Vergleichspersonen”, sagt Prof. Dr. Dr. Reinsberger. Beide Faktoren sind ebenso nicht in die öffentliche Interpretation der Ergebnisse eingeflossen wie auch die Fragen nach anderen möglichen Auslösern der Krankheit. Eine ursächliche Klärung ist aufgrund dieser und anderer Mängel der schottischen Studie nicht ohne Weiteres möglich, so dass weiterhin erheblicher Forschungsbedarf besteht.
Bereits im Januar 2021 hatte das DFB-Präsidium beschlossen, dass sich der organisierte Fußball in Deutschland den UEFA-Empfehlungen zum Umgang mit dem Kopfballspiel im Nachwuchsbereich anschließt. “Wichtigstes Ziel dieser und anderer Regelungen im deutschen Fußball ist eine langfristige Bewusstseinsbildung in dem Sinne, dass alle Beteiligten Einwirkungen auf Kopf und Gehirn nicht mehr bagatellisieren”, betont Prof. Dr. Tim Meyer, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des DFB.